Die Reifenbranche im Zeichen der Corona-Pandemie: Wie sieht die Zukunft aus?

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Managing Director Steve Rathbone und Senior Advisor Phillip Kane sprachen mit Madeleine Winer vom Tire Review Magazine über ihre Einschätzung, wie sich die Corona-Pandemie in den nächsten Wochen und Monaten auf alle Bereiche der Branche auswirken wird.

April 16, 2020

Beitrag und Podcast sind ursprünglich im Tire Review Magazine erschienen. 

Mit der Verhängung von Ausgangsbeschränkungen und Anordnungen an die Bevölkerung, zu Hause zu bleiben oder sich an einen sicheren Ort zu begeben, hat das Coronavirus das tägliche Leben nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt verändert. In der Reifenbranche haben mehrere Reifenhersteller ihre Anlagen vorübergehend stillgelegt. Soziales Abstandhalten gilt jetzt auch im Geschäftsverkehr. Läden haben ihre Hygienemaßnahmen verstärkt und bieten den Kunden mehr Optionen an, um ihren Service in Anspruch zu nehmen.

Das ist bis auf Weiteres unsere neue Normalität. Aber wie wird unsere Branche langfristig die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu spüren bekommen? Wir sprachen mit Steven Rathbone, Managing Director beim internationalen Investment-Banking-Haus Stout, und seinem Kollegen und langjährigen Kenner der Reifenbranche, Phillip Kane, inzwischen Senior Advisor bei Stout, um ihre Einschätzung zu hören, wie sich das Coronavirus in den nächsten Wochen und Monaten auf alle Teile der Branche auswirken wird.

Marktbedingungen für Hersteller

Angesichts der hohen Reifenbestände der Hersteller, bevor Covid-19 globale Ausmaße erreichte, ist laut Rathbone und Kane nach der Krise nicht mit Angebots- und Nachfrageproblemen auf Herstellerseite zu rechnen. Besonders effiziente Lieferketten werden jedoch am besten aufgestellt sein, wenn die Unternehmen wieder ihren regulären Geschäftsbetrieb aufnehmen.

„Bereits zum Jahresauftakt war eine allgemeine Marktschwäche zu beobachten, wie die Gewinnmeldungen der Hersteller in der Branche für das vierte Quartal zeigten“, erklärte Kane. Dieser Rückgang war auf die schwache OEM-Nachfrage und einen milden Winter zurückzuführen, fügte Rathbone hinzu.

Wenn die Nachfrage anzieht und sich die Wirtschaft normalisiert, könnten sowohl Hersteller als auch Händler Probleme haben, sich an die Marktbedingungen anzupassen. Laut Rathbone werden jedoch zwei Faktoren über ihre Reaktion darauf entscheiden: die Effizienz ihres Großhandelsnetzes und die von ihnen vorbereiteten Notfallpläne.

Da viele Autohersteller die Fahrzeugproduktion heruntergefahren oder ganz eingestellt haben, dürfte das OEM-Geschäft der Reifenhersteller beeinträchtigt werden, da Verbraucher den Kauf von Neuwagen aufschieben, so Rathbone und Kane. Dies wird sich durch die gesamte Lieferkette bis hin zu den Reifen für Neufahrzeuge ziehen.

„Einige OEMs haben die Reifenpreise in den letzten Monaten bereits neu verhandelt“, sagten sie. „Wir gehen davon aus, dass dieser Trend anhält. Dies wird sowohl die Margen als auch die Absatzmengen große Marktteilnehmer belasten, denen nichts anderes übrig bleibt, als beim Preis nachzugeben, um die Mengen aufrechtzuerhalten. Hinzu kommt der Druck vonseiten der Tier-2-Hersteller.“

Reifenmarken, die in China produzieren oder ihre Eigenmarken aus bestimmten Regionen Asiens beziehen, könnten ebenfalls von den Covid-19-bedingten Störungen in Produktion, Vertrieb und Logistik asiatischer Länder betroffen sein, so die beiden Experten. Dies könnte künftig auch Probleme im Nutzreifensektor verursachen, da 17 % der dortigen Absatzmenge aus China kommt.

Nach Einschätzung von Rathbone und Kane werden die Hersteller ihre Jahresendprognosen massiv senken. Dabei gehen sie nicht von einem starken Nachholbedarf nach der Krise aus. Wegen der entgangenen Geschäfte infolge der Corona-Pandemie rechnen Kane und Rathbone damit, dass große Unternehmen der Branche Preisanreize schaffen und Händlern und Distributoren Mengenrabatte anbieten werden, damit diese ihre Lager wieder auffüllen.

„Das ist typisch für die Reifenbranche: Bei rückläufigen Absatzmengen sinken die Preise, oftmals ganz irrational“, erklärte Kane. „Wir erwarten zunächst ein niedrigeres Preisumfeld für Reifen, sogar unabhängig von den Rohstoffpreisen, da die Hersteller untereinander um die dringend benötigten Volumina kämpfen, sobald der Markt wieder Reifen nachfragt.“

Geändertes Verbraucherverhalten

Derzeit schieben Verbraucher Käufe auf – sie konsumieren einfach nicht. Wie in der Finanzkrise 2008 können die wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus zu strukturellen Veränderungen im Konsumverhalten führen, so die Auffassung von Rathbone und Kane.

Beispielsweise ist laut Kane eine stärkere Verlagerung zu Online-Käufen, die Bündelung von Einkäufen zur Abholung am Straßenrand und eine stärkere Nutzung von Anbietern mit Lieferservice zu erwarten. Infolge neuer Hygienevorschriften könnten Kunden auch ungern bestimmte stationäre Geschäfte aufsuchen, wenn diese nicht ein bestimmtes Maß an Hygiene und Sauberkeit gewährleisten und technologisch nicht auf der Höhe sind.

„Wie 2008 und 2009 lernen die Verbraucher, sich anders zu verhalten. Dies könnte sich negativ auf die gefahrenen Kilometer auswirken“, sagte Kane. „Außerdem könnte es Veränderungen im Verbraucherverhalten geben, die die Konjunkturerholung verlangsamen. Die Menschen werden vorsichtig bleiben, selbst wenn man ihnen sagt, dass die Krise vorbei ist, und diese Skepsis wird noch eine Weile anhalten.“

Auswirkungen auf Reifenhändler

Während und nach der Corona-Pandemie könnten Großhändler nach Einschätzung von Rathbone und Kane die Lieferfrequenz verringern und Fahrer oder Fahrzeuge vorübergehend außer Betrieb nehmen, um die Strecken zu rationalisieren. Dies könnte zu permanenten Veränderungen in der Branche führen. Händler für Nutzfahrzeug- und OTR-Reifen werden in selektiven Bereich erfolgreich sein, da Lkw, landwirtschaftliche Maschinen, staatliche und kommunale Fuhrparks, die für „systemrelevante“ Branchen arbeiten, im Einsatz sein müssen. Rückläufig könnten Verkauf und Service während und nach der Krise bei Reifen für Bau- und Industriefahrzeuge und in bestimmten OTR-Segmenten sein. Zahlreiche Infrastrukturvorhaben und staatliche Hilfen könnten diesen Sektor jedoch nach der Krise ankurbeln und von einem bestimmten Zeitpunkt an die Preise für Spezialreifen stützen, wenn es dort zu Engpässen kommt", meinten Rathbone und Kane.

Kurzfristig werden deutlich weniger Strecken zurückgelegt werden. Entsprechend geringer sind Reifenverschleiß und Fahrzeugabnutzung, was zu einem längeren Ersatzinvestitionszyklus führt, so die Prognose von Rathbone und Kane. Es ist jedoch möglich, dass Verbraucher, die sich einen Barscheck auszahlen lassen – oder schließlich andere Fördergelder vom Staat erhalten – ihr Fahrzeug für notwendige Reparaturen und Inspektionen in die Werkstatt bringen.

Kane und Rathbone haben Geschäftsinhaber und Geschäftsleitungen beraten, wie sie die Auswirkungen von Covid-19 auf ihr Unternehmen möglichst gering halten und mit den Sorgen ihrer Mitarbeiter umgehen. Die vorübergehende Schließung oder Anpassung der Öffnungszeiten von Reifenhändlern dürfte die „Basis für Innovation und Veränderung“ bilden, beispielsweise in Form einer stärkeren Verlagerung zu E-Commerce, Fahrgemeinschaften, mobilen Angeboten und Abholservice, die bleiben werden, sofern diese Leistungen nicht bereits von Händlern angeboten werden.

„Die Maßnahmen, die ein unabhängiger Reifenhändler ergreifen kann, um diese Krise bis zu einem gewissen Grad zu bewältigen, sind direkt proportional zu seinem heutigen und künftigen Erfolg“, sagte Kane. „Ein unabhängiger Reifenhändler kann die Krise nicht beseitigen. Das kann keiner von uns. Es stellt sich jedoch die Frage: Was kann man tun, um möglichst große Chancen daraus zu ziehen?“

PODCAST-BEITRAG | Die Reifenbranche im Zeichen der Corona-Pandemie: Wie sieht die Zukunft unserer Branche nach Corona aus?