Warum Sachversicherungswerte für den M&A-Due-Diligence-Prozess so wichtig sind

Warum Sachversicherungswerte für den M&A-Due-Diligence-Prozess so wichtig sind

Das Transaktionsaufkommen bewegt sich nach wie vor auf einem historischen Hoch. Daher müssen Käufer einen Überblick über die Zusammensetzung und Bewertung des Immobilienportfolios und die zugehörigen Versicherungen der von ihnen anvisierten Unternehmen haben.

October 10, 2019

Mitverfasst von:
Nick Goyal, ASA
Associate Director, Aon Risk Solutions
+1.404.264.3074
nick.goyal@aon.com

In den letzten Jahren hat die Zahl der Fusionen und Übernahmen (M&A) sowohl in den USA als auch auf der ganzen Welt rasant zugenommen. Dabei wurden neue Rekorde aufgestellt, was das Volumen und den Wert der Transaktionen betrifft. Auch 2019 bewegten sich die M&A-Aktivitäten auf einem historischen Hoch.

Die Geschwindigkeit, mit der neue Geschäfte konzipiert und durchgeführt werden, kann dabei als Hinweis auf mehrere Trends gewertet werden. Einerseits ist eine größer gewordene finanzielle Transparenz börsennotierter Unternehmen zu beobachten. Andererseits hat sich der Einsatz von Technologien zur Erfassung, Speicherung und Analyse enormer Mengen an Finaz- und Performance-Daten zur Entscheidungsfindung und Festlegung von Transaktionsbedingungen stark verbreitet.

Angesichts dieser Tatsachen umfasst der Due-Diligence-Prozess in der Regel eine gründliche Prüfung der potenziellen Haftungspflichten, etwa derer in Zusammenhang mit bereits laufenden oder schwebenden Gerichtsverfahren, Pensionsverpflichtungen und Gesundheitsvorsorgeleistungen für aktuelle und pensionierte Mitarbeiter. Allerdings wird nicht immer die entsprechende Sorgfalt an den Tag gelegt, um vollständige, richtige und aktuelle Immobilienwerte einzuholen.

Neben ihren potenziellen Auswirkungen auf den letztendlichen Kaufpreis haben Immobilienbewertungen nach Transaktionsabschluss auch Einfluss auf die Versicherungskosten für das übernehmende Unternehmen. 

Dabei gilt insbesondere, dass eine Fusion oder Übernahme einem Unternehmen zwar dabei helfen kann, seine kurz- oder langfristigen Expansionsziele zu erreichen, doch auch mit wesentlichen Risiken in Hinblick mit un- oder unterversicherten Vermögenswerten des Zielunternehmens verbunden ist.

Aus diesem Grunde sollten von Finanzprofis die folgenden Faktoren berücksichtigt werden.

Standort und geografische Konzentration der Immobilien

Wird das Ziel- bzw. das fusionierte Unternehmen mehrere Immobilien in Hochgefahrenzonen für Naturkatastrophen, soziale Unruhen, Kriminalität oder Terrorismus haben? Wenn ja, befinden sich diese Immobilien in Gebieten mit moderner Infrastruktur und zuverlässigen Notfalldiensten? Sind alle Vermögenswerte angemessen gegen Naturkatastrophen, darunter Brand, Überschwemmung, Sturm und Erdbeben versichert? Aufgrund der zuletzt häufiger aufgetretenen Naturkatastrophen und Vorfälle von in- und ausländischem Terrorismus haben Versicherer ein großes Augenmerk auf die Risikokonzentration in ihren eigenen Portfolios sowie derer ihrer versicherten Unternehmen gelegt. Je nach dem kombinierten Wert aller Immobilien sind ggf. Sonderdeckungen zu vereinbaren – möglicherweise unter Beteiligung mehrerer Versicherer – damit ein den bestehenden Risiken angemessenes Versicherungsniveau gewährleistet ist.

Zustand der Gebäude und Anlagen des Unternehmens

Sind sie voll betriebsfähig und in gutem Zustand oder sind wesentliche Reparaturen und Sanierungen notwendig? Sind bestimmte Reparaturen oder Nachrüstungen gesetzlich vorgeschrieben? Bei veralteten Bewertungen werden womöglich bestimmte baufällige Vermögenswerte nicht berücksichtigt, was wiederum eine Überbewertung und einen überhöhten Transaktionspreis zur Folge haben kann. Sind von gesetzlicher Seite Nachrüstungen vorgeschrieben, damit Bauten den geltenden Standards entsprechen, muss sich der Verkäufer möglicherweise zur Übernahme der Reparaturkosten verpflichten.

Grenzüberschreitende Transaktionen

In diesen Fällen sollte das kaufende Unternehmen prüfen, ob das Zielunternehmen ein wesentliches Portfolio an Vermögenswerten in Ländern mit hoher Inflationsrate und/oder hohen Risiken für z. B. Naturkatastrophen oder politische Unruhen/Terrorismus aufweist. In einigen Schwellenländern ist die Verfügbarkeit von Notfalldiensten oder wichtigen Ressourcen begrenzt, etwa bei der Wasserversorgung für Löscharbeiten, mit denen ein Totalverlust einer Immobilie verhindert werden soll. Dementsprechend ist eine korrekte Bewertung notwendig, damit eine adäquate Versicherung des Vermögenswerts sichergestellt werden kann und das Unternehmen gegen etwaige Verluste abgesichert ist.

Produktbezogene Risiken und Bewertung des Bestands

Unternehmen sollten versuchen, die Elemente der Wertkette des Zielunternehmens zu quantifizieren. Das gilt in verschiedenen Situationen gleichermaßen: Bei strategischen Übernahmen für die Zwecke einer vertikalen Integration in vorhandene Produktlinien; beim Kauf eines direkten Konkurrenten zur Vergrößerung des Marktanteils; oder beim Anstreben von finanziellen und nachhaltigkeitsbezogenen Vorteilen einer Produktdiversifizierung durch den Kauf eines nicht in Konkurrenz stehenden Unternehmens, das ein anderes Produktangebot hat. Das Bestandssystem des Zielunternehmens ist zu berücksichtigen. Wird ein „Just-in-time“-Ansatz erfolgt oder werden große Bestände von Fertigerzeugnissen in bestimmten Märkten in einem zentralen Lager oder mehreren Lagereinrichtungen vorgehalten? War die Nachfrage nach den Produkten stabil oder kann es zu Preisfluktuationen kommen, die eine Über- oder Unterbewertung des Bestands zur Folge haben können?

Belastbarkeit der Lieferkette und Geschäftsstörungen

Die aktuellen globalen politischen und wirtschaftlichen Realitäten stellen neue Belastungen für die internationalen Lieferketten dar. Sie sind außerdem mit möglichen Auswirkungen auf die Verfügbarkeit und die Preise von Komponenten und Rohstoffen aus bestimmten Ländern oder Regionen verbunden. Übernahmeziele sollten dahingehend geprüft werden, wie Komponenten und Rohstoffe beschafft werden und ob Alternativen verfügbar sind, wenn Handelspartner ausfallen. Die Versicherungen des Zielunternehmens gegen politische Risiken, Handelsunterbrechungen und Geschäftsstörungen sollten sorgfältig geprüft werden. Daneben sind auch die Pläne in Bezug auf Geschäftskontinuität und Lieferkettenbelastbarkeit und die dazugehörigen Risikomanagementmaßnahmen in Augenschein zu nehmen. Wesentliche und unvorhergesehene Störungen bei der Lieferkette können äußerst schwerwiegende Auswirkungen auf die Herstellungskosten des Unternehmens haben. Daraus resultierende Preisänderungen können wiederum zu Umsatzeinbußen (und womöglich einer entsprechenden niedrigeren Bewertung des Unternehmens) führen.

Erfahrungen mit Sachschäden

Die jüngeren (also innerhalb der letzten zwei Jahre stattgefundenen) und die historischen Verluste des Unternehmens haben Einfluss auf seine Versicherungsprämien. Wenn das Unternehmen in der Vergangenheit wesentliche Ansprüche für Sachschäden, Geschäftsstörungen, Handelsunterbrechungen, Produktrückrufe oder anderes angemeldet hat, wurden wahrscheinlich auch seine Prämienzahlungen angehoben. Oder vielleicht hat das Unternehmen zur Kompensierung höherer Prämien sein Versicherungsprogramm so neu strukturiert, dass weniger Risiken versichert und Versicherungskosten eingespart werden. In diesem Fall mögen die Versicherungskosten zwar stabil sein, doch dafür sind bestimmte wesentliche Risiken nicht abgedeckt.

Je nach Art und Umfang der unter die Transaktion fallenden Geschäfte ist in diesen Punkten und zur Frage des Vorhandenseins oder der Verfügbarkeit entsprechender Versicherungen eine sorgfältige Abschätzung erforderlich. Besonders zu beachten ist hierbei, dass sich wesentliche unversicherte, nicht versicherbare oder unterversicherte Risiken letztendlich auf den Wert und die Bedingungen einer möglichen Transaktion auswirken können.

Korrekte Bewertung von Vermögenswerten und deren Bedeutung für M&A

Eine korrekte Bewertung von Vermögenswerten ist nicht nur für finanzielle Prognosen, die Bestimmung des Verschuldungsgrads und die Erstellung von Bilanzen und anderen Finanzabschlüssen wichtig. Auch für ein effektives Sach- und Risikomanagementprogramm ist sie von entscheidender Bedeutung.

Im Rahmen des Abschlusses von Versicherungen sind korrekte Bewertungen notwendig, um adäquate Deckungssummen zum Schutz oder Ersatz eines Vermögenswertes für den Fall sicherzustellen, dass er durch ein versichertes Ereignis beschädigt oder zerstört wird. Korrekte Werte werden auch dafür benötigt, die Prioritäten für Investitionen in die Aufrüstung von Gebäuden zum Schutz vor Stürmen, Erdbeben, Überschwemmung und andere Katastrophenrisiken zu bestimmen.

Ebenso können falsche oder veraltete Bewertungen zu unversicherten Risiken oder zu hohen Prämienzahlungen führen. Konkret gesagt: Stark überhöhte Bewertungen könnten Prämienüberzahlungen nach sich ziehen, während Unterbewertungen in Mitversicherungen, Unterversicherungen und der Kündigung von Policen resultieren können.

Zu Planungszwecken ist es schwierig, die Höhe der Sachversicherungsprämien einzuschätzen, wenn das übernommene Unternehmen nicht über korrekte Werte verfügt. Und was noch wichtiger ist: Im Falle eines beträchtlichen Schadens oder gar eines Totalschadens muss dem Schadenersatzantrag eine Aufstellung der Werte beigefügt werden. Sind diese Werte veraltet oder falsch, kann es zu Einbußen bei den Schadenzahlungen oder langwierigen Streitigkeiten mit den beteiligten Versicherungsunternehmen kommen.

Unabhängige Gutachten zu Versicherungswerten

Von unabhängiger Seite stammende Gutachten zu Versicherungswerten unterstützen nicht nur bei der Beschaffung von Versicherungen und der Schadenregulierung, sie sind auch eine zuverlässige Quelle für die Bestimmung des echten Werts der jeweiligen Sache.

Anbieter von gewerblichen Sachversicherungen richten sich bei der Bewertung der Risiken und der Bestimmung der Prämienhöhe nach dem geschätzten Wert der betreffenden Sachen. Je nach den Umständen kann ein Unternehmen versuchen, den Versicherungswert seiner Sachanlagen ohne die Hilfe eines unabhängigen Experten einzuschätzen. Allerdings ist zu beachten, dass unabhängige Bewertungsexperten, die keine Verbindungen zu einem bestimmten Unternehmen oder Versicherer haben, generell unvoreingenommene, umfassende und fundierte Bewertungen vornehmen und ohne Risiko einer sogenannten Value Bias zu korrekten und belegbaren Werten kommen.

Angesehene Bewertungsexperten halten sich an die strengen Richtlinien der Uniform Standards of Professional Appraisal Practice (USPAP), der American Society of Appraisers (ASA) und des Appraisal Institute. Die Zusammenarbeit mit Anbietern, deren Gutachter diesen Standards folgen, hilft bei der Bestimmung korrekter und belegbarer Versicherungswerte. Diese Experten kennen die verschiedenen Fragestellungen und Ressourcen, die bei der Ermittlung von Versicherungswerten zu beachten sind. Darunter fällt z. B. Folgendes:

  • Bewertungsannahme (Wiederbeschaffungskosten neu, Reproduktionskosten neu, Barwert usw.)
  • Richtlinienspezifische oder typische Ein- oder Ausschlüsse von Sachen
  • Kostenentwicklungen – sowohl im In- als auch Ausland
  • Standardleitfäden zu Sachkosten
  • branchenspezifische Preis- und Benchmarkstudien
  • funktionale Obsoleszenz

Bei den US-amerikanischen Anbietern für gewerbliche Sach-/Unfallversicherungen werden standardmäßig alle fünf bis acht Jahre unabhängige Bewertungen vorgenommen, und bei Bedarf wird in den Zeiträumen dazwischen auf eine Indexierungsmethode zurückgegriffen. Es kann aber natürlich zu Situationen kommen, in denen ein neues Sachgutachten nötig wird, da sich wesentliche Änderungen am Markt oder bei den Rohstoffen oder aufgrund von Veräußerungen oder Übernahmen bei den Vermögenswerten ergeben haben.

Ohne aktuelles Gutachten ist es häufig schwer, die Richtigkeit der Werte zu beurteilen. Dies kann mit schwerwiegenden Problemen bei den Versicherungsentschädigungen verbunden sein. Außerdem ist zu beachten, dass Versicherungswerte auf den CRN (Wiederbeschaffungskosten neu) und nicht auf der PPA (Kaufpreisallokation) basieren. Die Kaufpreisallokation wiederum kann sich nach dem Zeitwert richten.

Beurteilung und Bewertung von Akquisitionen

Geschäftsübernahmen erfordern die Einhaltung bestimmter Verfahren der Finanzberichterstattung. Unternehmen, deren Finanzabschlüsse nach den allgemein anerkannten Grundsätzen der Rechnungslegung (GAAP) erstellt werden, sind an die Vorgaben gemäß FASB Accounting Standards Codification 805: Business Combinations (häufig „ASC 805“, „Kaufpreisallokation“ oder „PPA“ bezeichnet) gebunden.[1] Diese Vorgaben sehen unter anderem die Bewertung von Sachanlagen zum Zeitwert vor. Die Bewertung der Sachanlagen für die PPA bietet Gelegenheit, Schätzungen zum Versicherungswert zu weitaus niedrigen Kosten einzuholen.

Häufig wird zur Bewertung der Sachanlagen im Rahmen des PPA-Vorgangs (unter anderem) der Kostenansatz genutzt. In vielen Fällen werden die Wiederbeschaffungkosten bereits im ersten Schritt des Kostenansatzes eingeschätzt. Wurden die Wiederbeschaffungskosten bereits im Zuge der PPA-Bewertung bestimmt, ist die Grundlage für die Einschätzung der Versicherungswerte häufig bereits gelegt, und es sind dann nur noch wenige zusätzliche kostenpflichtige Leistungen von notwendig.

Bei jedem PPA-Gutachten bestehen jedoch Möglichkeiten, die anfallenden Gebühren gering zu halten. Jedes der folgenden Szenarien kann die Chance auf beträchtliche Einsparungen bei den PPA-Gutachtenkosten erhöhen.

  • Die Bewertungsannahme in der Versicherungspolice lautet Wiederbeschaffungskosten neu (oder ist damit vergleichbar).
  • Der Umfang der auf ihren Versicherungswert zu bewertenden Sachen ist gleich oder geringer.
  • Bei der Bewertung des Großteils der materiellen Vermögenswerte wurde der Kostenansatz genutzt.
  • Die Unterlagen zu den Sachanlagen enthalten korrekte historische Kosten (d. h., die Aufzeichnungen wurden nicht gemäß früheren PPAs oder Abschreibungen geändert).
  • Die meisten Vermögenswerte wurden nicht „gebraucht“ erworben.

Ob Kosteneinsparungen möglich sind, hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter von den Daten- und Versicherungsrichtlinien des Unternehmens und dem vom Gutachter verfolgten Bewertungsansatz. Allerdings werden viele dieser Informationen während des Scoping-Verfahrens der PPA bekannt oder festgelegt. In manchen Fällen arbeiten Wirtschaftsprüfer und Vesicherungsbewerter zusammen, um einem Unternehmen im Rahmen einer Übernahme bei der Einholung korrekter und zeitnaher Bewertungen und geeigneter Versicherungslösungen zu helfen.

Unternehmen in den USA und auf der ganzen Welt führen derzeit mit großem Tempo Fusionen und Übernahmen durch, um ihre strategischen und kurz- und langfristigen Wachstumsziele zu erreichen. Dabei sollten sie sich aber die Zeit nehmen, korrekte und zeitnahe Bewertungen der Sachwerte ihrer potenziellen Übernahmeziele oder Partner einzuholen. Dies kann bei der Aushandlung der Transaktionsbedingungen und der Bestimmung der vor und nach der Transaktion bestehenden Risiken und der entsprechenden Versicherungen von äußerst wichtiger Bedeutung sein.


  1. Quick Reference Guide to Valuing Assets in Business Combinations, AICPA, 2016.